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JULIAN SESMERO RUIZ – MEISTER DES RAUMS
Im Laufe der nun fünfzig Jahre dauernden Freundschaft mit dem Maler Pepe España glaube ich, trotz der langen distanzbedingten Einschnitte in unserer freundschaftlichen, ideellen und künstlerischen Bindung, alle seine Aufbrüche zu neuen kreativen Gefilden miterlebt zu haben. Zusammen betrachtet ergeben die verschiedenen Phasen seines Schaffens ein klares Bild der künstlerischen Entwicklung von seiner Geburtsstadt Málaga bis zum geruhsamen Schweizer Wohnsitz, wo sein Werk nur seinem eigenen Interesse und seinen Gemütszuständen folgend heranreifte, fernab von denjenigen, die aus Picassos sonnigem Land das Unmögliche erwarteten, nämlich sein Schaffen von Tag zu Tag mitverfolgen zu können.
Besonders gerne erinnere ich mich an zwei Werke aus den fünfziger Jahren, die im Stil des persönlichen Realismus zu Beginn von Pepe Españas künstlerischem Schaffen entstanden sind: Zum Beispiel ein enormes schwarzes Kätzchen auf rotem Hintergrund, dessen mysteriöse Augen aus der ungewissen Ewigkeit hin zu einem unvollendeten Kosmos zu blicken schienen, was sinnbildlich für die Leiden war, die er aufgrund seiner langwährenden und furchtbaren Zweifel hatte. Dieses in sich zusammengerollte Kätzchen stand während meiner ganzen beruflichen Jugendzeit bei einem kleinen gläsernen Nachttischchen, auf dem auch ein blaues Notizheft mit dem Titel «Libro de sueños» (Traumbuch) lag. In dieses Heft notierte Pepe España in der frühen Morgendämmerung, gleich nachdem er aus dem Schlaf aufgeschreckt oder fröhlich erwacht war, aber immer mit erstaunlicher geistiger Klarheit, diese andere Realität, die er zwischen den Schatten der Traumwelt erfahren hatte.

Ich entsinne mich eines weiteren Gemäldes aus seinem frühen Werk, das in unserer gemeinsamen Heimatstadt Málaga entstanden war: Eine weitläufige Landschaft so gross wie Kastilien, in sanftem Ocker, mit fernen roten Pinselstrichen und schmerzlichem Schwarz zwischen der spärlichen und ersehnten Baumpflanzung. Einige Wohnortwechsel führten schliesslich dazu, dass wir uns endgültig aus den Augen verloren. Seither weiss ich, dass ein Bindeglied, das mich einerseits mit dem Maler verband, andererseits aber auch mit der Geschichte seines Werkes im Sinne einer ständigen Erneuerung, verloren gegangen ist. Was er früher durch geschicktes Beobachten von Verhaltensweisen, Ausdrücken, Motiven und Formen in seinen Bildern umsetzte, ging nach und nach über in verschiedene Werke harten Realismus, in dem der Mensch aufgrund der Plumpheit des Werks, Objekt der Befreiung aus dem negativen Zauber war, in dem der Künstler gefangen war. Mit seiner pessimistischen Sicht der Dinge gelangte er zum nicht minder harten Expressionismus, in dem der Mensch ebenfalls, gesellschaftlich betrachtet, in einer negativen, städtischen Realität gefangen bleibt und ohne einen Anflug von Groll oder zornigem Protest zu Grunde geht.

Seine Geschöpfe waren wie diejenigen von Unamuno, García Lorca, Sartre, Camus und später auch Milan Kundera. Sie schienen auf eine andere Realität zu warten, eine Realität, die seinem eigenen Scheitern so ähnlich war und den stets gleichbleibenden Gesetzten unterworfen war, dass sie die komplizierten und meisterhaften Linien eines komplexen, verwirrenden und formbeherrschenden Gemäldes suggerierten («Personajes de la calle», Bern, 1979 / «Carnaval en Basel», 1981 / «El llanto», 1983). Sowohl in seinem Selbstbildnis von 1992 als auch im vorhergehenden «Nosotros», in dem seine Gattin Rosmarie sein Gesicht durch die praktische Nebeneinanderstellung der Porträts teilweise bedeckt, ist im Blick des Malers eine gewisse Scham zu erkennen, wie wenn man erkennen könnte, was ihn beunruhigt und bedrückt.

Trotz allem – oder vielleicht weil er die Leiden der anderen, mit denen er die Hoffnung auf wahre Rettung teilte, zu lange mit anschaute – erlebte der beschämte Maler mehrere Frühlingsstimmungen in seinem Herzen und kündigte freudig eine unerwartete Wende zurück zu Gemälden mit sanften Linien und leuchtenden Farben an (z.B. die ansprechende Selbstbeobachtung in «Flor de Manzano» aus dem Jahre 1992, die Sublimierung in «El cuento de la abuela» von 1993 oder der künstlerische Exploit seiner bestgelungenen Blumen aus dem gleichen Jahr). Eine Farbenexplosion in seinen Blumen: Ich bin der absoluten Überzeugung, dass diese Farbenpracht nicht Zufall ist, sondern die Folge dieses sonderbaren und reifen inneren Frühlings der, nach hartem Widerstreit, wie ein Magnolienbaum im Juni spross, um seine innersten kreativen Obst- und Blumengärten zu durchduften.

Die vorgängigen Phasen waren nötig, um den Höhepunkt der eigenen Kreativität zu erreichen. Eine Kreativität, die zuvor durch die Folgen einer Farbe belebt, die wir in verschiedenen abstrakten Vorstellungen als froh und geheimnisvoll ausgemacht hatten, in eine Synthese der Formen, in die reine Andeutung der Formen, schwebend in einer ihnen eigenen Atmosphäre mündete. Zum Beispiel «Expresión y Color con la Vertical al Espacio», seine neusten Gemälde, ausgestellt vom 4. November 2000 bis 14. Januar 2001 in der Galerie und Gastronomie Hofstatt in Gipf-Oberfrick.
Die Ausstellung umfasst die Werke des Künstlers aus dem Jahre 1999. Meiner Meinung nach stellen diese in Bezug auf sein gesamtes Schaffen die unschätzbare Summe der vom Maler durchlaufenen Entwicklungsstufen dar. Ohne die vorgängigen Phasen wäre das heute erreichte Ziel undenkbar. Es ist als ob der Künstler eine erquickende Pause brauche. Alles in seinen Werken ist leichter, luftiger. Die vertikale Linie, die seine Bilder in Nord-Süd-Richtung teilt und zum ersten Mal auftaucht, lässt verschiedene Betrachtungen zu. Jeder Raum oder Bereich scheint in der Zeit festgehalten zu sein, wie wenn es kein Danach gäbe. Und in der Zwischenzeit schaffen die nahen und fernen Horizonte, voll von beunruhigenden Zweifeln, Realitäten, die der Irrealität der Traumwelt und der optischen Täuschung sehr nahe sind.

Es gibt angedeutete Meere, in die der Künstler im Geiste in wünschenswerte Einsamkeiten eintaucht, bereit zur Ergriffenheit. Ebenso vage Formen, die Heiterkeit in Form von neuer mystischer Kreativität hervorrufen, vielleicht ein halb geöffnetes Fenster hin zu einer vagen Landschaft, das ein Licht durchsickern lässt, frei von beschämenden Reflexen eindeutiger Herkunft. Es gibt auch poetische Folgen einer ruhigen Nacht, deren Geheimnis nicht durch unnötiges Suchen oder andere Verwicklungen geschmälert wird, sondern von ihrer eigenen und klaren Reinheit herrührt. Das Fehlen jeglicher menschlicher Typologie oder schmerzlicher städtischer Zusätze, wie sie in früheren Werken so oft zu sehen sind, lässt mich die Aussage bestätigen, dass wir es mit einem Abstecher des Künstlers hin zu seiner echten Unendlichkeit zu tun haben. Jedoch mit der stillschweigenden Zustimmung und der Mittäterschaft der in seinem früheren Werk geschaffenen Bilder und in der Hoffnung der einen oder anderen, dass er zurückkehrt zu den emotionalen Gefilden, in denen wir beide gewohnt sind, uns zu tummeln. Nichts weniger als all das Beschriebene ist im neuen Werk von Pepe España.

Und es hat, wie vielleicht noch nie in seiner langjährigen Tätigkeit als Maler, klare, deutliche und bezaubernde Reminiszenzen an seine nicht zu leugnende mediterrane Herkunft.
Nichts weniger als das.

JULIAN SESMERO RUIZ
Real Academia de Bellas Artes, San Telmo


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